Webanalytics-Experte Robert von Heeren im Interview über das neue Google Analytics 4
30.11.2022 11:00 von Stefan Wölfel
In diesem Interview sprechen wir mit dem Webanalytics-Experten Robert von Heeren über das neue Google Analytics 4. Was sind die wichtigsten Neuerungen? Welche Herausforderungen gab es bei der Umstellung der Class »Google Analytics 4 & Google Tag Manager«, die Teil von drei WE-Zertifizierungen im Fachbereich Digital Marketing ist? Geklärt wird dabei auch die Frage: Was macht die neue Version im Vergleich zur Vorgängerversion Universal Analytics besser?
Was ist eigentlich Google Analytics 4?
Google Analytics 4 (GA4) ist die neueste Version des Webanalyse-Tools aus dem Hause Google. Es wird im Sommer 2023 die Vorgängerversion Universal Analytics ablösen, die viele Jahre lang international zu einem der beliebtesten Webanalyse-Tools zählte.
Was sind die wesentlichen Neuerungen bei GA4 bzw. Unterschiede zur Vorgängerversion?
GA4 ist in weiten Teilen eine Neuentwicklung des Webanalyse-Tools: Angefangen bei der Art der Datenerhebung, über die Datenverarbeitung bis hin zu neuen Features und Standardberichten. Auch die Benutzeroberfläche wurde modernisiert und um neue Funktionen, wie zum Beispiel einen Debug-Modus für Entwickler, ergänzt. All diese Änderungen hat Google in mehreren Schritten freigeschaltet und anhand des User-Feedbacks laufend optimiert.
Die wesentlichen Unterschiede und Neuerungen zur Vorgängerversion Universal Analytics (UA) sind:
- Eine neue Art der Erhebung von Webanalyse-Daten mit Hilfe eines neuen Standardtrackings. Wenn der GA4-Standardtrackingcode in einer Webseite geladen wird, können neben dem Seitenaufruf (Pageview) automatisch auch verschiedene Interaktionen des Besuchers innerhalb der Seite als sog. „Ereignisse“ bzw. Events erfasst werden. Scrollt z.B. der Besucher auf der Seite hinunter, so wird diese Interaktion automatisch per Standardtracking als scroll-Ereignis erfasst. In Universal Analytics konnten per Standardtracking keine Ereignisse erfasst werden. Dazu mussten in UA zusätzlich spezielle Eventtrackingcodes in das HTML der jeweiligen Seite implementiert werden, was aufwändig war. In GA4 ist dies zwar auch möglich, aber nur noch in Spezialfällen notwendig, und zwar dann, wenn bestimmte Ereignisse von GA4 nicht automatisch erfasst werden können. Dazu zählen beispielsweise sog. E-Commerce-Ereignisse: Wenn ein Nutzer ein Produkt in den Warenkorb legt, kann GA4 dieses Ereignis nicht automatisch erkennen. Dafür steht aber vorgefertigter Ecommerce-Eventtrackingcode zur Verfügung.
- Überhaupt basiert in GA4 alles auf Ereignissen: Die neue Version macht keinen Unterschied mehr zwischen einem Pageview oder einem Scroll. Da ein Seitenaufruf genau genommen auch nur eine bestimmte Art der Interaktion ist, wird er genauso als Event gewertet, wie zum Beispiel der Klick auf den Play-Button eines Videos oder der Download einer Datei.
- Weiterhin wurde der Bereich der Standardberichte neu strukturiert: Im neuen „Lebenszyklus“-Bereich finden sich jetzt drei Berichtsgruppen: Akquisition, Engagement und Monetarisierung, wobei die letzten beiden gegenüber der Vorgängerversion neu sind.
- Der Monetarisierungsbericht macht eine weitere Neuausrichtung des Tools deutlich: Mit der GA4 legt Google den Schwerpunkt noch viel stärker auf die Performance-Messung von kommerziellen Websites und Onlineshops. Es geht im Endeffekt um die Frage: Wie viel Umsatz generiert die Site? Allerdings sieht man hier nur dann Daten, wenn das sog. erweiterte E-Commerce-Tracking in den Shop eingebaut wurde.
- Und zu guter Letzt ist es jetzt in GA4 möglich, sowohl Tracking-Streams von Mobile Apps als auch von Websites in einer einzigen GA4-Property einzeln ebenso wie kombiniert auszuwerten, Stichwort plattformübergreifendes Tracking und Reporting. Früher musste man zwischen verschiedenen Datenansichten wechseln und zusätzlich Firebase Analytics für Apps nutzen.
Tipp:
Wer über ein Google-Analytics-Konto verfügt, kann sich diese neuen Berichtsbereiche anhand von Daten des echten Onlineshops »Google Merchandise Store« anschauen. Dazu kann das entsprechende Google-Analytics-Demo-Konto in das eigene GA-Konto kostenlos importiert werden. Der User hat dann Lesezugriff auf diese und noch zwei anderen GA-Properties.
Und was ist der große Vorteil von GA4?
Eigentlich sind es mehrere: Neben dem plattformübergreifenden Tracking ist vor allem die Umstellung auf ereignisbasiertes Tracking zu nennen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man zum Beispiel für das Tracking von Downloads oder Videos eigene Eventtrackingcodes entwickeln und in die Site einbauen musste. Und GA4 setzt noch einen drauf: Wenn man eigene, benutzerdefinierte Ereignisse auf Basis bereits vorhandener Ereignisparameter benötigt, kann man diese Ereignisse direkt im Konfigurationsbereich der GA4-Property mit wenigen Klicks anlegen.
Besonders einfach lassen sich auch Conversions (früher Zielvorhaben) definieren: Man schaltet das Conversiontracking in GA4 einfach für das jeweilige Ereignis ein. Kein umständliches Festlegen von Zielvorhaben (Goals) mehr wie bei Universal Analytics.
Was mir auch gegenüber der früheren Version gefällt, ist der deutlich aufgeräumtere Standardberichtsbereich: Man klickt nicht mehr durch Dutzende Einzelberichte, sondern passt die wenigen neuen Berichte bei Bedarf einfach an. Zum Beispiel, indem man Vergleiche durchführt oder Filter erstellt – direkt im Bericht. Auch kann man einzelne Datenkärtchen („Cards“) hinzufügen oder entfernen – die entsprechende Funktion nennt sich sinnigerweise „Bericht anpassen“.
Insgesamt hat Google also einiges benutzerfreundlicher, einfacher und flexibler gestaltet. Auf der anderen Seite hat Google einige neue Metriken eingeführt, deren Definition zum Teil etwas kompliziert ist und an die man sich gewöhnen muss, zum Beispiel das user_engagement-Ereignis (Nutzerengagement).
Die Kehrseite der Medaille ist also, dass man sich in die vielen Anpassungsmöglichkeiten der Berichte und die neuen Metriken erst einmal einarbeiten muss. Wer von Universal Analytics kommt, wird sich umgewöhnen müssen. Und auch das neue Spezialtool „Explorative Datenanalyse“, welches früher nur in der kostenpflichtigen Enterprise-Version von Google Analytics zur Verfügung stand, ist offen gesagt nur etwas für fortgeschrittene Webanalysten. Damit kann man komplexe eigene Berichte und Analysen erstellen, wenn die Standardberichte hier nicht ausreichen.
Was waren die Herausforderungen während der Überarbeitung der Class?
Wie man meinen vorherigen Antworten und Beschreibungen von GA4 entnehmen kann, ist die neue Version anspruchsvoller geworden. Meiner Meinung nach hat Google das Tool bewusst mehr auf Analytics-Profis zugeschnitten. Hier einen pädagogisch-didaktischen Weg für Einsteiger zu finden, war eine echte Herausforderung. Nicht nur, dass ich sehr viel Zeit in die Recherche und Tests investieren musste – zum Beispiel was die exakte Definition der neuen Metriken und ihre Bedeutung für die Webanalyse betrifft. Ich musste darüber hinaus auch verschiedene mögliche Erklärungspfade durchprobieren, um herauszufinden, was ich erst einmal weglassen kann und was ich unbedingt wie und in welcher Reihenfolge erklären muss. Google stellt zwar eine umfangreiche Online-Hilfe für GA4 zur Verfügung. Die darin enthaltenen Definitionen und Erläuterungen sind allerdings oft recht kurzgehalten. Es mangelt beispielsweise des Öfteren an anschaulichen Beispielen und an einer Beschreibung, welchen Sinn manches Neue hat. Es gibt zwar Andeutungen, aber um auf das Beispiel des User-Engagement-Ereignisses zurückzukommen: Der praktische Nutzen dieser neuen Metrik erschließt sich nicht auf Anhieb.
An Google Analytics 4 (und auch schon seinem Vorgänger Universal Analytics) gab es Kritik von Seiten des Datenschutzes. Geht Google mit GA4 hinsichtlich des Datenschutzes Deiner Meinung nach den richtigen Weg?
In Punkto Datenschutz hat sich in GA4 gegenüber der Vorgängerversion schon etwas getan: So wird die IP-Adresse des Websitebesucher jetzt innerhalb von GA4 automatisch anonymisiert. Gegenüber der Vorgängerversion ist es nicht mehr notwendig, den Standardtrackingcode um den entsprechenden Befehl zu erweitern. Google behauptet auch, dass im Gegensatz zu früher die IP-Adresse weder übertragen noch in GA4 gespeichert wird – allerdings lässt sich das mangels Einblick in die GA4-Datenbank nicht überprüfen. Ein weiteres Problem war ja bisher auch, dass die vom HTTP-Protokoll automatisch erfasste IP-Adresse eines Nutzers an die Google-Analytics-Server in den USA übertragen wurde. Jetzt spricht Google davon, dass EU-Daten auch nur in der EU erhoben und verarbeitet werden. Wenn das stimmt, wäre das ein deutlicher Schritt in Richtung Datenschutz und der Datenschutz-Grundverordnung. Allerdings sind aus meiner Sicht die Zusatzfunktionen bei der Datenerhebung und -verarbeitung von Google Analytics 4 teilweise problematisch. Ich will hier nicht auf alle Features im Detail eingehen, aber allein die Möglichkeit, User-Verhalten über verschiedene Plattformen hinweg verfolgen zu können, dürfte Datenschützern nicht gefallen.
Beispiel: Google Signale. Hierzu sagt Google: „Google-Signale sind Sitzungsdaten von Websites und Apps, die Google mit Nutzern verknüpft, die in ihrem Google-Konto angemeldet sind und personalisierte Werbung aktiviert haben.” (Quelle: Google Analytics 4 Hilfe). GA4 sammelt also (optional) User-Daten aus deren Google-Konto (!). In diesem Fall nutzt es sie zum Beispiel für Remarketing. Hier geht GA4 bei der Datenerhebung und -verarbeitung gegenüber der Vorgängerversion also noch deutlich weiter. Wir müssen abwarten, wann das im Frühjahr vom amerikanischen Präsidenten Joe Biden und der EU-Präsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Nachfolgeabkommen zum Datenschutz zwischen den Vereinigten Staaten und der EU kommt und ob bzw. wie die angesprochenen heiklen Punkte geregelt sein werden.
Bis dahin empfehle ich, diese Zusatzfunktionen in den GA4-Properties nicht zu aktivieren. Dann ist man mit GA4 m. E. eher auf der sicheren Seite als beim Einsatz der Vorgängerversion.
Danke Robert für dieses aufschlussreiche Interview. Wir werden die weitere Entwicklung dieser neuen Google-Analytics-Version, auch im Hinblick auf die Datenschutz-Konformität, im Auge behalten. Wichtige Änderungen und Neuerungen werden wir natürlich in unseren WE-Zertifizierungen berücksichtigen.
Kategorien: Expertenrat, Webanalytics
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